BEGINN DES JAHRES 1992 – STREIK DER STUDENTEN
Autor: Juliane Neidhardt
Wie bereits im vorigen Beitrag erwähnt, befand sich die Technische Hochschule Ilmenau Anfang 1992 in einem gewaltigen Umbruch. Viele strukturelle Änderungen, wie Ablösung der ehemaligen Sektionen durch die neu eingerichteten Fakultäten, hatten bereits stattgefunden. Die größten personellen Veränderungen standen noch bevor.
PERSONALSTRUKTURPLAN
Im Zuge des 1989 stattgefundenen politischen Umbruchs war es ein Ziel, die personellen Gegebenheiten der Hochschulen der neuen Bundesländer an die im Westen Deutschlands anzupassen. In Vorbereitung darauf war 1991 an der TH Ilmenau eine Strukturkommission unter Rektor Prof. Köhler gebildet worden. Mithilfe von Zuarbeit aus den Fakultäten wurde dort ein Plan entwickelt, den man dem Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst darlegen konnte. Am 05.12.1991 kam es dann zu Verhandlungen mit dem Ministerium, bei denen ein zunächst für alle Seiten tragbarer Kompromiss gefunden wurde.
ERLASS DES STAATSSEKRETÄRS
Umso mehr Aufregung verursachte daher ein Erlass des Staatssekretärs des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, Dr. Werner Brans. Mit diesem Brief, der dem Rektorat am 02.01.1992 zuging, wurde mit Wirkung vom 20.12.1991 der neue Personalstrukturplan der THI erlassen. Nur stand dort nicht unbedingt das, was vorher in den Verhandlungen vereinbart worden war.
263 Sperrungen (29 Professuren, 116 wissenschaftliche Mitarbeiter, 118 nicht-wissenschaftliche Mitarbeiter) ordnete der Staatssekretär an. Das waren 103 Sperrungen mehr als vorher vereinbart worden war. Noch dazu waren diese im Erlass bis in die Fachgebiete hinein genau aufgeschlüsselt, was der Hochschule kaum Spielraum ließ, bedarfsgerecht selbst zu entscheiden. Zwei Lehrstühle („Fertigungsmesstechnik“ und „Energietechnik“) wurden mit samt dem anhängigen Personal komplett gestrichen, die Stellen sollten der noch entstehenden Fakultät für Wirtschaftswissenschaften zugeordnet werden. Weiterhin konnte dem Schreiben entnommen werden, dass das Verhältnis von unbefristeten zu befristeten Stellen beim wissenschaftlichen Personal künftig 20:80 lauten sollte, im Gegensatz zum von der Hochschulleitung geforderten Verhältnis 40:60.
REAKTIONEN DES SENATS UND STREIK DER STUDENTEN
Der Senat tagte in einer Sondersitzung am 15.01. zu dem Thema. Merklich konsterniert wurden im Protokoll bereits neue Verhandlungsziele gegenüber der am Folgetag eintreffenden Verhandlungsdelegation aus dem Ministerium festgehalten.
„Der Senat erwartet für die Lösung der zukünftigen Aufgaben eine engere Zusammenarbeit und ein besseres Vertrauensverhältnis […]“. (UAI, Senatsprotokoll 15.01.1992)
Auch die Studenten der Technischen Hochschule Ilmenau, allen voran der StuRa, waren empört. In den Manuskripten des Hochschulfunks und Artikeln im Ilmenauer Hochschulblatt werden klare Worte gefunden:
„Es ist 1. ein schwerwiegender Eingriff in die Autonomie der Hochschule und übergeht 2. demokratische Grundregeln.“ (Ms. Hochschulfunk für den 13.01.1992 (UAI, 16872)
Des Weiteren sahen die Studenten die Absicherung der Lehre in Gefahr. Denn die im Erlass vorgesehene Sperrung von Professuren mit zugehörigem Personal würde dazu führen, dass entsprechende Vorlesungen nicht mehr gehalten werden könnten. Man sehe das Niveau der Abschlüsse und damit die Marktchancen der Ilmenauer Studenten gefährdet, heißt es weiter. Darum rief der StuRa zum Streik auf. Am 15. und 16.01.1992 blieben die Hörsäle leer.
NEUER KOMPROMISS
Am 16.01. trafen sich Hochschulleitung und Ministerium zu neuen Verhandlungen. Es wurde entschieden, 40 Sperrungen zurückzunehmen. Die Hochschule erhielt auch die Freiheit zurück, die gesperrten Stellen selbst einzuteilen, um entsprechend dem Bedarf zu handeln und den Fortgang der Lehre zu gewährleisten. Die Verhandlungsdelegation des Ministeriums unter Frau Harjies-Ecker sicherte außerdem zu, dass Stellen bei entsprechendem Bedarfsnachweis schnell entsperrt würden. Im Streit um das Verhältnis von unbefristeten zu befristeten Stellen kam es zu einem Kompromiss: statt des von der Hochschule gewünschten 40:60 und vom Ministerium angestrebten 20:80 einigte man sich auf 30:70 für das wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Personal.
Diesen neuen Kompromiss konnten alle Parteien tragen. Die Studenten waren stolz darauf, der Hochschule in der Verhandlung den Rücken gestärkt zu haben. Professor Köhler schrieb in seiner Kolumne im Ilmenauer Hochschulblatt, er hätte die Aufregung gern im Rektorat behalten. Er lobte die Studenten aber auch für ihr demokratisches Verhalten.
Das neue Ziel stand somit fest: Um die restlichen Stellen zu entsperren, wollte die Technische Hochschule Ilmenau es von den derzeitigen 2507 auf 6000 Studenten bringen.