FORSCHUNG FÜR ZIVILE ZWECKE

Autor: Juliane Neidhardt

Eine Zivilklausel ist eine Selbstverpflichtung von wissenschaftlichen Einrichtungen, wie Universitäten, ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen. Themen und damit verbundene Fördergelder, die sich eindeutig der Rüstungsindustrie oder anderen militärischen Zwecken zuordnen lassen, sind also ausdrücklich untersagt. Dieses derzeit hochaktuelle Thema wurde in Ilmenau bereits 1992 diskutiert.

APPELLE DES WISSENSCHAFTLICHEN RATES

Eine erste Erwähnung fand eine Art Zivilklausel bereits Ende 1991 im Protokoll einer Sitzung des Wissenschaftlichen Rates. Die Studenten, die dem Rat damals noch angehörten, brachten unangekündigt einen Antrag gegen militärische Forschung und geheimdienstliche Tätigkeit an der TH Ilmenau ein. Nach kontroverser Diskussion stellte sich der Wissenschaftliche Rat mit 28 Ja- und 10 Nein-Stimmen bei 4 Enthaltungen hinter die „Appelle an die Mitglieder und Angehörigen der TH Ilmenau“ (Quelle: UAI, A3/224) und veröffentlichte diese in der Hochschulzeitung.

Darin heißt es erstmals explizit, dass „Forschung, bei der ersichtlich ist, daß ihre Anwendung eine Gefahr für die Gesundheit, das Leben und das friedliche Miteinander der Menschheit in sich birgt oder Schäden an der Umwelt herbeiführen kann, […] nicht stattfinden“ dürfe. Sie müsse „insbesondere dann unterbleiben, wenn sie der militärischen Nutzung dient.“ (Quelle: ihb 1, 1992, S. 4)

JOSEPH WEIZENBAUM IN ILMENAU

Joseph Weizenbaum in Ilmenau (UAI, Negativ 920525_1-9)

Am 25. Mai 1992 hielt Professor Joseph Weizenbaum an der TH Ilmenau einen Vortrag im prall gefüllten Großen Hörsaal. Weizenbaum, der über Jahre die Professur für Computer Science am MIT inne hatte, galt als einer der großen Kritiker an einem allzu leichtgläubigen Umgang mit Wissenschaft und Technik.

Die Frage, wem die Forschung diene, stelle sich täglich neu, so Weizenbaum. Hier habe der Forschende selbst eine hohe Verantwortung: „Ich wollte nicht die Rolle eines Fachidioten spielen, der kein Schuldgefühl darüber hat, was letztlich mit seiner Arbeit geschieht.“, zitiert ihn das Freie Wort in einem Artikel über den Vortrag. (Quelle: Freies Wort, 04.06.92). In Ilmenau blieben Weizenbaums Ideen und Argumente nicht ohne Folgen. (Quelle: ihb 9, 1992, S. 4)

ERNEUTER STUDENTISCHER VORSTOß

Am 18.6.1992 brachten die studentischen Vertreter das Thema der militärischen Forschung erneut in den Wissenschaftlichen Rat. In der entsprechenden Vorlage wurde nun näher auf die genauen Modalitäten der Umsetzung eingegangen. Weder solle die Hochschule selbst Mittel für die „Durchführung rüstungsrelevanter Forschung“ bereitstellen, noch werde die Hochschule derartige Aufträge annehmen. Die Nachweispflicht über das Forschungsziel müsse bei den Antragstellenden selbst liegen. Eine entsprechende Formulierung möge in die Präambel der künftigen Grundordnung aufgenommen werden.

Die Diskussion der studentischen Vorlage im Wissenschaftlichen Rat war erneut kontrovers und kann anhand des Protokolls nur summarisch nachvollzogen werden: Der ethischen Verantwortung der Wissenschaft und der Berücksichtigung der angespannten politischen Lage wurde die „Ablehnung eines kollektiven Pazifismus“ und das Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre entgegengebracht. Auch wenn grundsätzlich keine Einigung erzielt werden konnte, beschloss der Wissenschaftliche Rat mit einer Stimmenmehrheit von 28 Ja-Stimmen bei 7 Gegenstimmen und 8 Enthaltungen die Vorlage und veröffentlichte diese in der Hochschulzeitung. (Quelle: ihb 35, 1992, 10, S. 1) Entgegen der Verlautbarung in der ihb wurde jedoch die Formulierung einer neuen Präambel der Grundordnung bis auf Weiteres vertagt. Inzwischen ist die Zivilklausel fester Bestandteil des Selbstverständnisses der Technischen Universität Ilmenau.